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Großflächige Waldrodung in der Living City

Umwelt

Autor:

Green Steps

Short summary:

Im Norden von St. Pölten ist ein alter verwilderter Parkbestand mit einigen alten Bäumen gerodet worden. Es bietet sich ein Bild der Verwüstung. Nur eine Linde und eine Platane wurden am Rande des Grundstückes verschont. Was ist notwendig, um ein Umdenken in der Stadtverwaltung zu erreichen? Warum ähnelt diese immer mehr chinesischem Staatskapitalismus?

Wir haben bereits mehrmals auf die hohe Gefahr der Verbauung und des Grünzonenverlustes in Viehofen hingewiesen. Die Renovierung des Bahnhofes sowie der Bau einer Reihenhaussiedlung an der Austinstrasse sind einige der Veränderungen, die dieses Jahr zu beobachten waren. Ebenso wurde ein Hohlweg in den Hang des Kremserberges gerissen, der oberhalb des Mühlbaches zur Richtung Süden zur Living City führt.

Die Living City, ein co-living Projekt für Personen ab 50, befindet sich am Areal der ehemaligen Spitzenfabrik Viehofen, auf dem auch ein Denkmalgeschütztes Herrenhaus steht, welches seit geraumer Zeit sehr zögernd renoviert wird. Rund um das Herrenhaus, vor allem Richtung Norden befindet sich eine verwilderte Parkanlage, die vor dem 2. Weltkrieg - ähnlich jener der Voith Villa in der jetzt die städtische Musikschule untergebracht ist - dem Industriellen Friedrich Austin und seiner Familie als Erholungsort diente.

Eine nordamerikanische Weihrauchzeder, die direkt neben dem Herrenhaus steht wurde 1999 zum Naturdenkmal erklärt. Dies hätte auch mit einigen anderen Bäumen geschehen müssen. Green Steps hat seit Winter 2020 Daten zu mehreren Bäumen aufgenommen. Hervorzuheben sind eine Platane mit 370 cm Stammumfang und einem geschätzten Alter von 160 Jahren sowie die größte von uns am Stadtgebiet beobachtete Fichte (Picea abies) mit einem Stammumfang von 290 cm und mehr als 40m Höhe. Dieses Exemplar war zwar nur etwa 90 Jahre alt, konnte aber erklärten, warum der einstmalige Park sich zu einem regelrechten Urwald gewandelt hatte: Die Spitzenfabrik geriet in der Wirtschaftskrise nach dem ersten Weltkrieg in Bedrängnis und musste 1930 geschlossen werden. Seitdem ist nicht nur die Bausubstanz des Herrenhauses verfallen, sondern die Natur hat sich den Parklandschaft wieder eigengemacht und zwischen den gepflanzten Bäumen des Landschaftsparkes konnten schnellwachsende Arten wie die Fichte ungestört eine beachtliche Größe erreichen.

Wir haben heute 12 Stümpfe von Bäumen mit einem geschätzten Alter von etwa 100 Jahren gezählt und unzählige kleinere. Es ist unverantwortlich, wie viele unersetzbare Baumriesen entfernt wurden, und man muss sich fragen, ob die Stadtväter St. Pöltens komplett den Verstand verloren haben. Ist es nicht möglich, Wohnraum zu schaffen, ohne der Bevölkerung ihre Lebensgrundlage zu entziehen? Die Naturschutzjugend in Graz konnte den Schutz eines ähnlichen Grundstückes erreichen. Warum ist man in St. Pölten nicht ebenso weitsichtig und geht mit der Natur verantwortungsvoller um?
Wir versuchen seit geraumer Zeit dafür Bewusstsein zu schaffen, dass jeder ältere Baum eine unersetzbare Ressource darstellt. In einer Phase der anthropogenen Klimaerwärmung ist das Fällen von Bäumen, die zwei, drei oder mehr Generationen gewachsen sind, ebenso wie jeder Quadratmeter zusätzlicher Bodenversiegelung ein Verbrechen an unseren Kindern. Wir Menschen sind eine vom Baum abhängige Art.

Dieses Jahr mussten wir in St. Pölten eine uralte Linde in Ochsenburg, die Stiegl-Buche im Kaiserwald, einige Bäume im Altoona Park und nun auch den Urwaldpark bei der alten Spitzenfabrik beklagen. Viele Bauvorhaben sind auf Kosten weiterer Bäume geplant, und die handelnden Personen scheinen nicht zu begreifen, dass sie sich damit nicht ihren Lebensunterhalt verdienen, sondern sich selbst und anderen die Lebensgrundlage entziehen.

Bäume sind Erbringer von sogenannten Ökosystemleistungen, die erst jetzt durch den Klimawandel an Bedeutung gewinnen. Bäume sorgen für die Kühlung der Lufttemperatur durch Verdunstung und Beschattung, sie speichern das bekannte Treibhausgas CO2, sie schaffen Biodiversität – all dies leisten Bäume mit zunehmenden Alter in exponentiell höherem Ausmaß. Prof. Thomas Rötzer vom Zentrum für Stadtnatur und Klimaanpassung, den wir gestern an der TU München für Kooperationsgespräche besucht haben, schätzt dass für einen etwa 80 jährigen Baum mindestens 50 Jungbäume gepflanzt werden müssen. Für die Rodung bei der alten Spitzenfabrik also geschätzte 1000 Jungbäume. 

Ich erinnere mich an die Anti-FCKW Kampagne der 80er Jahre, die ein Umdenken bei Konsumenten und Produzenten herbeiführte und somit weiteren Schaden an der Ozonschicht verhindern konnte. Damals sah ich als Kind im Fernsehen kurze Einschaltungen, die erklärten, dass unser Überleben in der Verantwortung jedes Einzelnen liegt. Mit dem Slogan „Wer, wenn nicht du?“ wurden die Zahl der FCKW Dosen am Bildschirm immer mehr, um zu veranschaulichen, dass das Handeln des Einzelnen in der Summe eine gewaltige Auswirkung hat.

Mit dem weltweiten Verbot der Produktion und Verwendung von FCKW Substanzen wurde ein globales ökologisches Unheil erfolgreich abgewandt. Wir müssen hinsichtlich des Schutzes von Bäumen mit denselben drastischen Mitteln reagieren – auch wenn die negativen Auswirkungen noch nicht unmittelbar zu spüren sind. Eine generelle Baumschutzverordnung und eine tiefgreifende Bewusstseinsbildung zum Wert von Bäumen für unser Überleben, wäre für die Stadt St. Pölten der nächste notwendige Schritt. Indem Naturdenkmäler als Müllhalden oder als Standort für Abfallsammelstellen mißbraucht werden, demonstriert die Stadtverwaltung, dass es ihr trotz politischen Projekten wie der „Fit4UrbanMission“ an der entsprechenden Geisteshaltung fehlt und noch nicht bereit ist in die Verantwortung zu gehen.

Ganz im Gegenteil zeichnet sich eine „Mission Impossible“ ab: anstatt eine Baumschutzverordnung eiligst zu erlassen, versteckt sich die Stadt hinter den privaten Immobilienentwicklern, die sich angeblich für die Erhaltung unseres Naturerbes nicht interessieren. Die Verschränkung der Interessen der Stadtverwaltung, diese wirtschaftlich zu entwickeln, stehen in einem krassen Konflikt mit ihrer Verantwortung die Natur zu schützen. Leider hat der Gesetzgeber übersehen, dass es im Falle von Statutarstädten zu einer sogenannten Kollusion kommt: der Bürgermeister als oberste Behörde ist sowohl für den Schutz von Natur und Naturdenkmälern (§24 NÖ NSchuG) wie auch zB für Baugenehmigungen zuständig. Es ist höchste Zeit, dass die Naturschutzverantwortung an unparteiische und übergeordnete Instanzen oder die betroffene Bevölkerung übertragen werden.

Politische Pläne wie „2nd leading city in Europe“ sind daher nicht nur heiße Luft, sondern ein Verrat an der Bevölkerung und ein Beispiel für den Rest der Welt, wie Umweltpolitik nicht gemacht werden darf. Immer mehr glaube ich, dass wir in der Regierung St. Pölten wie auch Niederösterreichs neue Köpfe mit neuen Ideen benötigen. Wer in dieser Situation alte Bäume fällt und seine Handlungen mit dem gesetzlich vorgeschriebenen Pflanzen von Jungbäumen „grünwäscht“ hat keine Berechtigung die Interessen der Bevölkerung zu vertreten.

Die Situation überrascht aber nicht. In den raren Begegnungen mit Renate Gamsjäger, der SPÖ Stadträtin für Umweltfragen, ging es um ihre Liebe zur Erhaltung der alten Straßenbahn Remise. Nicht um die Kastanienallee daneben. In der Umweltrechtabteilung des Magistrates erinnert sich Jan Höllriegl nicht daran jemals einen Naturdenkmalantrag behandelt zu haben. Natürlich, denn seit 1991 gibt es nur wenige, und das letzte Naturdenkmal wurde 2006 erklärt. Eine wahre Living City, dieses St. Pölten.